Flucht ganz nah

Von Rahel Rochholz, Gymnasium am Römerkastell Alzey, Klasse 8a

Tanya (31), ihre Kinder Gleb (11) und Veronika (9) und ihre Mutter Galina (57) kommen am 13.3.2022 von Luhyny, einem kleinen Ort in der Ukraine mit etwa 4000 Einwohnern, nach Gau-Bickelheim. Nachdem der Krieg ausgebrochen ist, verbreiten täglich Flieger und Bomben massive Angst, die ihnen förmlich die Luft zum Atmen nimmt. So entscheiden sie nach 3 Wochen Kriegswirren über Nacht zu flüchten, um sich in Sicherheit zu bringen.

Mehrmals täglich fliegen riesige, furchteinflößende Kriegsflugzeuge im Tiefflug über ihr Dorf. Sirenen ertönen und sie verstecken sich im Keller. Oft stürzen sie hastig bis zu fünf Mal pro Nacht in den Keller oder sitzen erstarrt und verstört die ganze Nacht dort. Werden Sie wenigstens ein wenig Ruhe finden?
Nein – hier hören sie die Raketen, spüren wie die Fenster vibrieren und die Bomben in 20 km Entfernung einschlagen. Ob sie wollen oder nicht, ihre Sinne bekommen traurigerweise alles mit. Ungewissheit und Furcht lähmen sie, ihre Zukunft ist völlig in Frage gestellt. Als sie hören, dass Kiew angegriffen wird und Soldaten aus Weißrussland einmarschieren, steigt die Angst noch mehr.

Nach drei beängstigenden, unsicheren Wochen ist es nicht mehr auszuhalten und Tanya möchte ihre Kinder in Sicherheit bringen. Galina lässt sie nicht allein gehen und will nicht von ihrer Seite und der ihrer zwei Enkel weichen. Der Preis dafür ist, dass sie ihren Mann und die übrige Familie zurücklassen muss. Mit wenig Gepäck bringt Tanyas Mann alle vier mit dem Auto in knapp zwei Stunden an die polnische Grenze.

Dort zeigt sich ein Ukrainer besorgt und verweist auf zwei deutsche Männer, die Hilfsgüter aus Deutschland brachten und diese bereit wären sie mit nach Deutschland zu nehmen. Sie hadern, sind unsicher, sehen aber schließlich keinen anderen Ausweg und fahren aus Verzweiflung mit. Die 15 Stunden Fahrt, dauerhaft unter Angst, nicht wissend wohin die Reise letztlich geht, ist hart und anstrengend. Der Blutdruck steigt und sie weinen die ganze Fahrt über. Wie wird es Ihren Männern gehen, den Geschwister, Kindern und Enkeln? Auch der Gedanke entführt oder missbraucht zu werden quält sie fürchterlich. Innerlich zerrissen sitzen sie im Auto, das seinen Weg brummend fortsetzt….

Bei der deutschen Familie angekommen, lässt die Angst nicht nach. Wer ist diese Familie? Meinen sie es gut? Nichts zu verstehen verunsichert sehr.
Sehr zögerlich und angsterfüllt beziehen sie ihr vorbereitetes Zimmer.

Wenn hier ein Flugzeug über die Häuser fliegt, schrecken sie zusammen und werden an die schrecklichen Bombenangriffe erinnert. Hört man die Kirchenglocken, glauben sie, die Sirene heult und sie sitzen aufrecht im Bett. Selbst bei einem für uns normalen Gewitter zittern sie vor Angst und Schrecken.

Es dauert fast zwei Wochen, bis sie beginnen Vertrauen zu schöpfen. Die ukrainischen Kinder verstehen sich schnell mit den Kindern der Gastfamilie und sie spielen gerne zusammen.

Verständigungsschwierigkeiten gibt es Dank Onlineübersetzungen selten, obwohl es keine gemeinsame Sprache gibt. Das alltägliche Leben gelingt schnell. Essen, Helfen, Gemeinschaft – vieles funktioniert auch ohne besondere Sprachkenntnisse. Sie haben Heimweh, lassen es sich aber kaum anmerken. Es besteht ständiger telefonischer Kontakt zu ihren Lieben in der Heimat, die berichten, dass wieder vermehrt Sirenen zu hören sind und Raketenangriffe von Weißrussland aus erfolgen – direkt über ihren Köpfen auf dem Weg nach Kiew.

Trotzdem hoffen sie bald nach Hause fahren zu können und planen schon sehnsüchtig die Heimfahrt. Dies erinnert sie allerdings wieder an die schreckliche und unsichere Fluchtfahrt. Wie wird die Rückfahrt sein, wie werden sie mit alle den Veränderungen und Erlebnissen fertig? Doch sie haben die Hoffnung nicht aufgegeben.

Heute sind sie rückschauend besonders dankbar für die zwei unbekannten Männer fürs Mitnehmen nach Deutschland und für die herzliche Aufnahme bei der deutschen Gastfamilie.